Berliner Schloss / Humboldt-Forum
Wettbewerb 2008, mit Michael Stollenwerk + Partner www.mstp-architekten.de
Sieben Thesen zum Berliner Schloss / Humboldt-Forum

1. Das Berliner Schloss ist keine barocke Idealplanung, sondern ein Komplex, der über Jahrhunderte hinweg gewachsen ist.

Daraus resultieren Asymmetrien, Versätze und eine differenzierte Außenraumbildung. Es ist daher ein Fehler, das Schloss als einen arrondierten Solitär mit vier Ecken zu betrachten. Vielmehr sollte das Schloss als ein Stück gewachsene Stadtstruktur begriffen werden, die Keimzelle für die Berliner Stadtentwicklung war.
Die historische Volumetrie der Spreeseite bietet einen interessanten Ausgangspunkt für eine moderne Gestaltung, die das historische Bild in Erinnerung rufen kann.

Am Apothekenflügel ist der Prozess des historischen Wachstums auch nach Westen hin erkennbar gewesen. Der Apothekenflügel ist als Teil der räumlichen Begrenzung des Lustgartens stadtstrukturell bedeutsam.

2. Das historische Schloss hatte eine differenzierte Außenraumbildung, die auch in der Gegenwart wieder zum Tragen kommen kann.

Ohne den Apothekenflügel wird den Linden ein stadträumlicher Abschluss fehlen und der Stadtraum zwischen Dom und Schloss bleibt undefiniert und zugig. Außerdem wird das Neue des Humboldtforums nach außen nicht erkennbar.
Die Kubatur der Ostseite bietet Passanten entlang der Spree differenziertere und atmosphärisch dichtere Stadträume als eine breite Fassadenfront, die eine stadträumlich fragwürdige Achsialität des Baus in Richtung Alexanderplatz erzeugt. Nicht eine weitläufige, axiale Geste auf den übergroßen Stadtraum des Marx-Engels-Forums ist an der Ostseite nötig, sondern die differenzierte Gestaltung einer Spreepromenade.

3. Eine wesentliche städtebauliche Qualität des Schlosses war seine Durchlässigkeit in Nord-Süd- und zum Teil auch in West-Ost-Richtung.

Das Schloss bildete eine Matrix von Außenräumen, die durch ein Wegenetz auf Straßenniveau verbunden waren. Eine Nord-Süd-Passage allein genügt nicht, um den Reichtum der Wegebeziehungen wiederherzustellen. Hierzu gehört auch die Abfolge und Hierarchie der Höfe, der Durchgang zwischen den Höfen und das Offenhalten des Eosanderschen Portals III.
Die Zugänglichkeit des Humboldt-Forums auch außerhalb der Öffnungszeiten macht dieses erst zu einem öffentlichen Ort und erfüllt das Versprechen einer "Agora".

4. Die rekonstruierten Fassaden sollen wieder integraler Bestandteil eines plastischen Baukörpers werden.

Deshalb ist der räumliche Zusammenhang der Fassade mit dem Inneren wichtig: Dieser wird vor allem in den Tordurchfahrten erlebbar, dann auch in den Treppenhäusern.
Sehr wichtig für die Plastizität des Baukörpers ist auch die Südostecke des Schlosses, an der der Schlütersche Eckerker zusammen mit der Brücke, dem Denkmal des Großen Kurfürsten und den vorbarocken Bauteilen ein städtebaulich bedeutsames und atmosphärisch dichtes Ensemble bildete.
Eine sinnvolle Rekonstruktion kann nicht nur Fassaden betreffen, sondern sollte auf die Wiedergewinnung von Räumen - innen wie außen - abzielen.
Im Rahmen der Rekonstruktion ist es erforderlich, die Option für die Rekonstruktion auch wichtiger Innenräume offenhalten, selbst wenn diese im ersten Bauabschnitt noch nicht erfolgt. Wünschenswert ist deshalb ein gestaffeltes Konzept, das die langfristige Wiedergewinnung von Innenräumen erlaubt.

5. Unter der Vorgabe des Auslobers, eine Kuppel über dem Hauptportal zu bauen, ist die Rekonstruktion der Stüler-Kuppel am besten geeignet, einen Orientierungspunkt im Stadtraum schafffen.

Die Kuppelvorgabe des Auslobers ist als Wunsch nach einem städtebaulichen Zeichen zu verstehen. Innenräumlich und museologisch macht der Kuppelraum nicht viel Sinn. Die städtebauliche Signalsetzung mit modernen Mitteln würde ganz anders aussehen, als eine Kuppel. Eine weitere zeitgenössische Kuppelinterpretation hingegen, "à la Reichstagskuppel" auf dem Schloss geriete leicht zur Karikatur. Das öffentliche Bild des Schlosses ist mit der Stülerkuppel verknüpft. Deshalb ist diese schwer zu ersetzen.

6. Die Unterbringung von Ausstellungsnutzungen im Schloss ist möglich und erfordert keine einschneidende Veränderung der historischen Kubatur, insbesondere auch keine Überdachung von Innenhöfen.

Durch lokale Erhöhung der Gebäudetiefe im Bereich des Eosanderhofs ergeben sich zusätzliche Freiräume für die Organisation der Ausstellungen und Rundgänge. Auch kann ein neu interpretierter Spreeflügel beträchtliche Anteile des Raumprogramms aufnehmen. So wird der Nutzungsdruck von den Höfen genommen. Diese bleiben als prägende Außenräume erfahrbar. Eine Erschließung der Ausstellungen von der Mitte her ermöglicht gute Orientierung und vielfältige Rundgänge.

7. Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss kann nur als Ergebnis einer differenzierten Abwägung zwischen Rekonstruktion und Neubau entstehen.

Aufgabe des Wettbewerbs war es, einen Neubau in den Konturen und mit Fassaden des Berliner Schlosses für die Nutzung als Humboldt-Forum plausibel zu machen. Diese Aufgabe verlangt nach einer differenzierten Bewertung der historischen Bauteile. Dieser schwierige Weg erscheint gleichzeitig als der einzig gangbare: Einerseits kann die Geschichte an diesem historisch kodierten Ort nicht ignoriert werden, andererseits würde eine vollständige Schlossrekonstruktion den Anforderungen an das Nutzungskonzept Humboldt-Forum zuwiderlaufen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17